Kritiken zu Irrungen Wirrungen

Göttinger Tageblatt

Göttinger Tageblatt Von Peter Krüger-Lenz. Artikel veröffentlicht: Freitag, 18.11.2016 12:09 Uhr

 

Deutsches Theater Göttingen Glänzender Rollentausch

 

Theodor Fontane hat in seinem Roman „Irrungen, Wirrungen“ ziemlich viel Personal beschrieben. Eine Bühnenfassung der Stoffs hatte jetzt Premiere im Studio des Deutschen Theaters (DT). Ein Schauspielerquartett übernahm alle Rollen und glänzte dabei. Regie führte Jakob Weiss.

 

Göttingen. Streng müssen die Sitten in Preußen Ende des 19. Jahrhunderts gewesen sein. Eine Liaison zwischen einem Baron und einer Bürgerlichen war nicht vorstellbar. Das ist das Leitmotiv, das Fontane, ein Vertreter des literarischen Realismus, in seinem Roman verarbeitet hat. Baron Botho von Rienäcker bewahrt bei einem Ausflug ein Ruderboot vor dem Kentern und lernt dabei Lene kennen, eine Frau aus dem Volk. Sie kommen sich näher in diesem Sommer und verbringen viel Zeil miteinander. Doch während Botho noch das Glück genießt, ist Lene bereits klar, dass ihre unstandesgemäße Beziehung keinen Bestand hat. Botho wird schließlich seine Cousine heiraten, um die Finanzen seiner Familie zu sanieren, und Lene gibt dem Werben Gideon Frankes nach. Der Fabrikmeister ist zwar doppelt so alt wie sie, bietet ihr aber ein sicheres Leben. Doch weder Botho noch Lene verwinden den Verlust ihrer Beziehung.

Das junge Paar ist umgeben von allerlei Menschen; von Verwandten, Nachbarn, Freunden und schließlich Ehepartnern. Sie alle tauchen auf der kleinen Bühne im DT-Studio auf – gespielt von Bardo Böhlefeld, Angelika Fornell, Lutz Gebhardt und Felicitas Madl. Mehr noch: Sie tauschen untereinander die Rollen. Jeder ist mal die zarte Lene, jeder der forsche Baron, die leidende Ziehmutter und die schrille Nachbarin. Ein bemerkenswerter Kunstgriff von Regisseur Weiss. Jeder Akteur spiegelt sich in dem anderen, jeder gibt der Figur weitere Facetten. Irrungen und Wirrungen verursacht dieses Wechselspiel nicht, aber es führt zu leichter Irritation, was der Inszenierung gut tut.

 

Natürlich ist diese Folie dazu angelegt, die Schauspieler glänzen zu lassen. Eine Chance, die das Quartett großartig nutzt. Alle agieren auf ganz hohem Niveau.

 

Eines weiteren Kunstgriffs hat sich Weiss bei seinem Entwurf des Bühnenbildes bedient. Die Spielfläche ist umrahmt von hohen Flächen, die bei entsprechender Beleuchtung spiegeln oder durchsichtig sind. Dahinter ziehen sich die Schauspieler zurück, wenn sie die Kleidung wechseln. Die Zuschauer schauen dabei zu, wie sie in Eile sind und sich gegenseitig helfen. Das wirkt sehr vertraut und geradezu familiär. Ein schönes Gegenbild zum harschen Preußen des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Vom Publikum gab es dafür sehr viel Beifall.

 


Kulturbüro Göttingen

Ein Stück Leben bleibt dran hängen

 

Kulturbüro Göttingen

 

23. November 2016

 

geschrieben von  Tina Fibiger

 

Theodor Fontanes Romanadaption „Irrungen und Wirrungen“ auf der DT-2 Bühne

 

Es liegt nicht an mir, die Welt herauszufordern erklärt die junge Lene und dass damit auch die Grenzen gesteckt sind. Wie soll das auch gehen, dass eine arme Wäscherin in adelige Kreise Einzug hält, bloß weil sie diesen Baron Botho von Rienäcker liebt und er sie auch. Einen Sommer lang darf sich das Paar in Theodor Fontanes Roman „Irrungen und Wirrungen“ davon träumen. Nun auch in der dramatisierten Fassung von Jacob Weiss und seiner Inszenierung auf der DT-2 Bühne.

 

Hier erzählt eine strahlende Felicitas Madl von der ersten Begegnung mit ihrem Retter bei einem Bootsausflug und was er schon bald für sie bedeutete. Aus ihr spricht immer auch die Realistin, die weiß, dass der Gefährte eine reiche Erbin heiraten wird, die seinen Status sichert. Bardo Böhlefeld zeichnet diesen adligen Schwärmer als liebenswert charmanten Zeitgenossen und keineswegs als Blender. Doch so ohne weiteres lassen sich die gesellschaftlichen Verpflichtungen und Bequemlichkeiten dann doch nicht aushebeln, wenn dazu einfach der Mut fehlt. Das tut weh, wie die adligen Freunde anmerken und dass ein Stück Leben daran hängen bleibt.

 

 

 

Es kommt wie es kommen muss. Botho heiratet seine reiche Kusine Käthe und Lene willigt am Ende in eine solide Partnerschaft ein. Schon Fontanes Roman lässt von Anfang an keinen Zweifel über den Gang der Ereignisse aufkommen. Es gibt einen glücklichen Sommer und danach nur noch Alltag und Erinnerungen. Das wäre auf der Bühne schnell erzählt. Dennoch wird aus diesem handlungsarmen Szenario ein Abend der bewegenden Bilder, wo sich nicht nur Fontanes Liebespaar in seinen Konventionen verfängt sondern auch die Umgebung.

 

Alle Figuren definieren sich vor allem über das, was andere von ihnen denken und behaupten und bei sich verdrängen - und so verwickelt sie Regisseur Jacob Weiss in ein klug choreografiertes Stellungsspiel, wo sie ständig zwischen öffentlicher und privater Meinung irrlichtern und so das Leben über sich ergehen lassen. Das Liebespaar ebenso wie ihre späteren Partner, die nachrichtengeile Nachbarin, Lenes kränkelnde Ziehmutter und Bothos adligen Freunde. Sie alle werden in den verschiedensten Facetten von Schein und Sein gespiegelt, weil das Schauspielteam mit jeder Szene die Rolle wechselt. Gerade noch blickte Gebhardt mit mütterlicher Fürsorge auf das sommerliche Glück. Nun ist er die Lene, die auf den Moment vertraut, während sich Angelika Fornell von der ewig umtriebigen Nachbarin in den adligen Gefährten verwandelt, in eine müde Alte oder in die Blumen geschmückte junge Wäscherin. Auch Bardo Böhlefeld und Felicitas Madl geben jeder Figur noch andere Gesichter hinter all den Masken und eine weitere Facette von Leben, wie es unter den Verhältnissen früher oder später erstarren wird.

 

Ein grandioses Schauspielteam bringt hier zum Ausdruck, was die Worte immer wieder verblenden müssen. Dass dabei auch nach Ausflüchten gesucht wird und nach Ablenkung von diesem Gefühl des Gefangenseins in der eigenen Geschichte, die zum Verstellungsspiel geworden ist. Da fasziniert umso mehr die Vielstimmigkeit, mit der die Schauspieler bei jedem Rollenwechsel eine Figur von einer anderen Seite berührbar machen. Im angepassten Plauderton ebenso wie in grellen Gesten, einer reflexive Pose oder einem dieser Momente von selbstmitleidigen Aufruhr.

 

Die wechselnden Blickwinkel, Stimmungen und Stimmfarben reflektiert auch das Bühnenbild von Jacob Weiss mit dieser halbrunden Wand aus Spiegelfolie, wo jede Figur in jeder Begegnung auch ihre mehrdeutige Abbildung erfährt. Manchmal kommt es dabei auch zu Spiegelungen, wo das getarnte Selbstbild wie in einem stummen Dialog auf die Zeichen seines verkümmernden Innenlebens trifft. Immer wieder gibt die Folie auch den Blick frei auf Kostüme und Requisiten. Sichtbar für die Zuschauer vollzieht sich die Wandlung der Schauspieler, die jede Rolle mehrfach einnehmen und ihre stilisierte Ausstattung nach jedem Auftritt wechseln, um Fontanes irrende und wirrende Geschöpfen in einer weiteren Facette zu beleuchten und zu fragen, wo der Schein jetzt gerade trügt, der sie ständig umtreibt. Hier zeigt sich Regisseur Jacob Weiss auch als feinsinniger Choreograph von Lebensentwürfen und ihrem Scheitern, die einen bewegenden Chor von Gefangenen bilden, wo so viel Leben an den Gitterzellen hängen geblieben ist.